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Aktuelle Situation

Flusssysteme sind von Natur aus komplex. Während die Erbauer der 1. Thurkorrektion die Lage der Dämme richtig festgelegt hatten (überschwemmbares Vorland zwischen den Dämmen), waren andere Massnahmen zu optimistisch; so beispielsweise der Bau einer Mittelwasserrinne mit einer durchschnittlichen Breite von ca. 45 Metern in Kombination mit einer harten Uferverbauung. Dies führte im Laufe der letzten Jahrzehnte zu diversen Problemen: Beispielsweise bei der Autobahnbrücke in Müllheim senkte sich die Sohle durch Erosion (gemessen seit 1975) um rund 1.5 Meter ab. Im Vorland der Allmend bei Frauenfeld gab es Auflandungen von bis zu 1.5 Metern. Ohne wasserbauliche Eingriffe schreitet dieser Prozess weiter voran.

Alte Dämme bieten keinen ausreichenden Schutz mehr

Besonders kritisch für den Hochwasserschutz sind zwei Punkte:

  • Die Dämme sind nicht genügend belastbar.
  • Der Abfluss des Wassers ist beeinträchtigt.

Dass die alten Dämme der Belastung des Wassers nicht mehr standhalten, haben die Hochwasser im letzten Jahrhundert gezeigt (1965, 1977, und 1978). Seither kam es glücklicherweise zu keinen weiteren Dammbrüchen mehr.

Begehungen und Simulationen zeigten zahlreiche Schwachstellen auf. Bereits bei einem Hochwasserereignis, das statistisch gesehen alle 30 Jahre eintreten kann (HQ30), besteht die Gefahr, dass die Wassermassen die Dämme an mehreren Stellen unkontrolliert durchbrechen. Auch der Abfluss des Wassers ist heute nicht mehr vollständig gewährleistet. Grund sind die genannten Auflandungen, die entstanden sind, weil das Hochwasser das Sohlenmaterial (vor allem Sand) auf den Thurvorländern ablagert.

1. August 1978: Wyden in Uesslingen Buch, Blick nach Nordnordwesten (Bild: hochwasserrisiko.ch)

Gefährdung des Grundwassers

Sohlenerosion entsteht, wenn das Sohlenmaterial (Geschiebe, Sand und Kies) von der Transportkraft des Wassers abgetragen wird. Wegen des gestreckten Flusslaufs, des gesicherten, verbauten Ufers sowie des relativ schmalen Mittelgerinnes hat die Thur viel Kraft und Energie: Deshalb nimmt sie das Geschiebe ihrer Sohle mit und transportiert es weiter. Dadurch sinkt die Sohle stetig tiefer ab. Wegen der verbauten Ufer im Thurgau und auch im oberen Teil des Flusslaufs kommt nur wenig Geschiebe nach, das die Sohlenlage stabilisieren könnte. Je weiter die Sohlenerosion fortschreitet, desto stärker werden die Uferverbauungen unterspült und die Brückenfundamente gefährdet.

Besonders heikel ist die Sohlenerosion für den Grundwasserspiegel: Sinkt die Sohle ab, fliesst Grundwasser direkt in die Thur und damit weg. Der Grundwasserspiegel wird dadurch gesenkt. Somit steht weniger Grundwasser für die Trinkwasserfassungen und die landwirtschaftliche Bewässerung zur Verfügung.

Wie die trockenen Sommer von 2003, 2015 und 2018 gezeigt haben, ist die natürliche Ressource Wasser im Thurgau nicht unbeschränkt vorhanden. Diese Trockenperioden führen vor Augen, wie wichtig der Grundwasserspeicher des Thurtals für die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung und der landwirtschaftlichen Bewässerung ist. Damit langfristig genügend Trinkwasser aus dem Grundwasser des Thurtals zur Verfügung steht, muss die Sohlenerosion verlangsamt werden. Das Grundwassersystem Thur muss daher in Bezug auf die Sohlenlage, die Geschiebeführung und die Infiltration wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Die Thur kann bei Hochwasser kein Material von der Seite mitnehmen, da die Steinverbauungen dies verhindern. Deshalb nimmt sie das Material von der Sohle mit und senkt diese ab. (Grafik: Livia Enderli, Amt für Archäologie)
Sobald die Thursohle auf dem Niveau des Grundwasservorkommens angekommen ist, nimmt sie das Grundwasser fort. Dadurch senkt sich der Grundwasserspiegel. (Grafik: Livia Enderli, Amt für Archäologie)

Rückgang der Biodiversität

Zurückzuführen ist der Rückgang der Biodiversität auf die Zersiedelung, die Zerstückelung der Lebensräume durch Infrastrukturbauten und die intensive Landwirtschaft. Dabei ist die Biodiversität von zentraler Bedeutung für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen wie Nahrungsmittel, Trinkwasser oder saubere Luft. Zudem ist die Biodiversität wichtig für die Wirtschaft. Eine Studie der Forschungsanstalt Agroscope schätzt den Wert der Bestäubungsleistung von Honig- und Wildbienen für die Schweiz auf 205 bis 479 Millionen Franken jährlich. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen im Thurgau (v. a. Obst- und Beerenanbau) sind stark von der Bestäubungsleistung der Insekten abhängig.

Kanalisierung und intensive Nutzung führen zu Artenschwund

Eine Folge der Kanalisierung der Thur war auch, dass viele Arten am und im Wasser verschwunden sind. Heute sind die Thurufer mehrheitlich mit Blocksteinen verbaut; rund 70 % sind als naturfern zu bezeichnen. Wie an vielen anderen Orten haben die harten Verbauungen das Flussökosystem über die Jahrzehnte stark geschwächt; einheimische Wanderfische sind als Folge davon ausgestorben. Das bekannteste Beispiel ist der Lachs, der früher bis in den Kanton St. Gallen aufgestiegen ist und sich auch in der Thur fortgepflanzt hat. Die verbaute, strukturarme und fragmentierte Thur kann die unterschiedlichen Ansprüche der strömungsliebenden Fischarten heute nicht mehr erfüllen. Die Strukturen der Binnenkanäle sind teilweise für Fische, Libellen und andere Tiere ungünstig. Jungfische können bei Normalwasserstand an einigen Stellen die für sie wertvollen Kanäle und Nebengewässer nicht erreichen. Laichhabitate sind in der Thur kaum mehr vorhanden.

Auch Vögel, Insekten, Frösche, Salamander und verschiedene Säugetiere sind auf einen naturnahen Lebensraum angewiesen. Anstelle der ursprünglichen, vielfältigen Pflanzenwelt hat sich vielerorts eine monotone Graslandschaft etabliert. 

Auenwälder

Früher begleiteten Auenwälder die Flussläufe in der ganzen Schweiz. Dank der ständigen Schwankungen des Wasserstands und der dazugehörigen Dynamik von Zerstören und Wiederentstehen bildeten sie einen Lebensraum für zahlreiche Arten. Viele Auengebiete wurden von den Flusskorrektionen des 19. Jahrhunderts zerstört. So auch bei der Thur: Durch den Dammbau und die Ufersicherungen wurden die Auenwälder von der natürlichen Dynamik der Thur abgeschnitten. Typische Auenarten verschwanden.

Löwenzahnwiese im Thurvorland bei Uesslingen

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